
So leicht lässt sich die Beamtin nicht abwimmeln. Beleidigungen tropfen an ihr ab. Sie scheint mit Emaille versiegelt. Ein weicher Kern ist schwer erkennbar.
„Wir haben eine Anzeige von einer Autobahnraststätte bei Wien. Haben sie Interesse?“
Gelika kehrt um. Sie schließt die Tür jetzt sanfter.
„Was verdiene ich dort?“
„Sie fragen nicht, was sie dort zu tun haben?“
Gelika denkt sich ihren Teil. In meinem Beruf mit meinem Studium, bekomme ich in einem Rasthof eh keine Arbeit.
„Benötigen die dort studierte Historiker?“
„Nein. Für Historiker haben wir auch keine Arbeit. Sämtliche Plätze sind besetzt.“
„So ist das. Für neue Geschichte bin ich leider nicht ausgebildet. Also; was habe ich dort zu tun?“
„Der Rasthof benötigt Reinigungskräfte.“
„Dafür habe ich studiert. Mein Vater hat mich schon vor dem Studium gewarnt. Ich solle lieber ein Handwerk lernen.“
„Wir könnten sie umschulen.“
„Was verdiene ich dabei?“
„Das Arbeitslosengeld.“
„Ich muss drei Hundert und Fünfzig, Miete kalt bezahlen. Ich bekomme aktuell keine fünf Hundert.“
„Das tut mir Leid.“
„Ihr gespieltes Mitgefühl ernährt mich aber schlecht. Das kann ich mir auch in der Kirche holen.“
„Wir haben noch Plätze in der Landwirtschaft. Als Haushaltshilfe.“
„Warum sagen sie nicht Magd?“
„Wenn sie das so sehen. Als Magd können sie arbeiten.“
„Was verdiene ich dort?“
„Die Bauern geben acht Hundert an. Kost und Logis sind frei.“
„Das klingt schon recht gut. Was habe ich dort zu tun?“
„Das Haus putzen. Kochen. Wäsche waschen. Erntehilfe.“
„Oh je. Mit Kochen habe ich es nicht so. Wäsche? Naja. Das bekäme ich hin. Ich habe im Studentenwohnheim – Wäsche gewaschen.“
„Soll ich dort mal anrufen?“
„Das wäre mir Recht.“
„Wollen sie trotzdem mal in Wien vorbei schauen?“
„Was kostet die Fahrt dahin?“
„Sicher um die vierzig Euro.“
„So viel Geld habe ich nicht.“
„Beide Stellen bieten freie Kost und Logis.“
„Dann könnte ich ja meine Wohnung kündigen.“
„Was wollen sie mit ihren Möbeln tun?“
„Möbel? Habe ich keine.“
„Und ihre persönlichen Habseligkeiten?“
„Die passen in eine Hosentasche.“
Gelika hat sich etwas verschätzt. Allein die Ausweise, Bildungsnachweise und der reine bürokratische Kram, würden einen Koffer füllen.
Eigentlich hat sie noch etwas geerbt von ihren Eltern. Beide sind bereits von uns gegangen. Es war nicht viel. Aber sie möchte sich das für wirklich schlechte Zeiten aufsparen. Umziehen in eine andere Wohnung, könnte sie so und so nicht. Die kosten alle bereits das Doppelte. Das wäre ihr gesamter Lohn. Gelika sieht ein Risiko. Sie hat aber im Netz, Pensionen gesehen, die weniger Geld pro Monat verlangen, als sie Miete zu zahlen hat. Das gibt ihr etwas Hoffnung. Mehr als ein Zimmer, benötigt sie ohnehin nicht.
„Sparen sie sich die Miete und kaufen sie sich ein Auto“, sagt die Arbeitsvermittlerin.
„Ohne Geld? Sie wollen mich verschaukeln.“
„Auf Kredit.“
„Wer gibt einem Menschen ohne Einkommen, Kredit?“
„Sie sind doch schön. Das reicht.“
„Ich soll mir ein Auto erbumsen? Haben sie das auch so gemacht?“
Die Frage wäre eigentlich überflüssig. Die Gesprächspartnerin Gelikas, würde keinen Cent einnehmen. Trotzdem sie literweise Parfüm und Schminke auflegt.
„In der Not müssen wir Fliegen fressen.“
Sie versucht ein Lächeln. Das misslingt ihr. Die Bräunung würde abblättern.
„Sind sie verheiratet?“
„Ja.“
„Hat ihr Mann zufällig das Auto mitgebracht?“
„Woher wissen sie das?“
„Sehen sie in meine Unterlagen. Ich bin allein stehend, keine Mutter, habe Geschichte studiert und suche Arbeit.“
„Ich will ihnen jetzt keine Vorwürfe machen. Warum haben sie ausgerechnet Geschichte studiert?“
„Das wurde mir damals als zukunftssicher angeboten. Bei der Auswertung meiner Kenntnisse und Zensuren. Meine Eltern haben schwer gearbeitet dafür. Ich auch.“
„Heute können sie höchstens als freier Mitarbeiter in den Medien beschäftigt werden. Vielleicht in Bibliotheken und Museen. Die Plätze sind alle vergeben. Sogar an Ausländer.“
„Wir komme ich zu dem Bauern?“
„Ich rufe an. Er holt sie ab.“
„Das wäre mal ein Wort.“
Gelika hat jetzt ein Kilogramm Papier unterschrieben. Ein Dutzend Unterschriften. Ganz am Schluss legt ihr die Gesprächspartnerin einen Zettel hin. Eine Umfrage. Sie soll ankreuzen, ob sie mit der Beratung des Amtes zufrieden war. Gelika zögert. Wenn sie das tut, was sie wirklich erlebt hat, wird sie von da her, nie wieder eine Vermittlung erhalten. Zögerlich kreuzt sie „Zufrieden“ an. Die Blicke des kalten Schminkkastens gegenüber reichen ihr. Die registriert jeden Millimeter des Stiftes in ihrer Hand. Wehe, der verrutscht etwas. Ihr würde sofort das Geld gestrichen. Gelika scheint, als würde in ihr Amt, deutsche Unkultur einziehen.