
Tag 34
Halb Fünf wecke ich auf und setze uns den Kaffee an. Marco hatte mir ein paar selbst hergestellte Dominosteine mit gegeben, die ich Joana mit auf den Tisch lege. Ich gehe ins Bad und rasiere mich. Der Apparat zieht mir schon kräftig am Bart und ich muss mir bei Gelegenheit einen neuen Scherkopf mit besorgen. Im Internet habe ich schon geschaut, ob es das gibt. Der Witz ist, dass der Scherkopfersatz fast soviel kostet wie ein Rasierapparat. Wer diese Wirtschaftsphilosophie verstehen will, muss ernsthaft krank sein.
Joana hat mir schon die Tasche gepackt. Viel brauche ich nicht. Nur ein paar Unterhosen, Socken, Handtuch, Zahnbürste, Messer und eine Kochjacke. In den Bergen muss ich immer mit Lawinen oder Pannen rechnen und folglich damit, eine Nacht oder mehrere, außer Haus bleiben. Ich rechne mit neunzig Minuten Fahrzeit. Es sind immerhin um die einhundert Kilometer. Allgemein rechnet man im Gebirge mit fünfzig Kilometern pro Stunde. Durchschnittsgeschwindigkeit. In den ganz frühen Morgenstunden und spät abends, ist es möglich, etwas schneller vorwärts zu kommen. Das sind auch jene Zeiten, in denen wir uns bewegen. Das ist unsere Freizeit. Joana hat gar nichts davon. Sie hängt den ganzen Tag in diesem Betrieb. Den ersten Kontakt mit einem Kollegen hatte ich erst im Tunnel von Landeck. Er fuhr in meine Richtung und begleitete mich bis Ischgl. In Ischgl war schon reichlich Betrieb. Das Liftanlagenpersonal war zahlreich anwesend. Auch die Stadtreinigung und der Winterdienst. In den kommenden Tagen werden wir uns sicher freundlich grüßen. Die Tankstellenrestaurants haben bereits alle geöffnet. Die sind gut besucht. Alle Arbeiter treffen sich dort. Sie kaufen sich die Artikel, die sie während ihrer Arbeitszeit benötigen. Meist sind es Getränke, belegte Brote, Zigaretten, Tabak und ziemlich oft auch Spirituosen. Die Arbeit in den Skibetrieben bei strengen Minustemperaturen ist nicht leicht und wird ziemlich oft mit etwas Alkohol erwärmt. Die Bauern der Region haben sich damit eine Winterarbeit organisiert, die auch reichlich Sommerarbeit erfordert. In Richtung Galtür ist fast schon Stau. Zähfließender Verkehr. Es sind reichlich Taxis und Busse unterwegs. Viele Skitouristen torkeln auf der Straße herum, als wären sie noch betrunken.
In dem Augenblick, als ich den Ort verlasse, landet ein Hubschrauber mit Rettungspersonal. Ich erlebe einen kleinen Schneesturm der Extraklasse. Eine Bühne steht auch auf dem Parkplatz. Für Konzerte wird der zum Festplatz umgebaut. Die Ischgler Bauern greifen tief ins Veranstaltungskonto. Weltbekannte Popstars treten dort auf. Die Konzerte sind sehr gut besucht. Sie ziehen auch Zuschauer aus Südtirol und Italien an. Nach ein paar Kilometern sehe ich das Tal von Galtür, das ringsherum mit ziemlich hohen Bergen eingesäumt ist. Der Lawinendienst von Galtür ist unterwegs. Sie schießen mit einer Art Granatwerfer in überhängende Schneemassen an den Bergen. Sie provozieren auf die Art kontrollierbare Lawinen und verhindern die Ansammlung von gefährlichen Schneemassen. Galtür ist bekannt für ein sehr tragisches Lawinenunglück. Ich bin an dem Gasthof angekommen und sehe schon die Chefin vor der Tür stehen. Sie hat mich erwartet, dachte ich mir. Kurz darauf öffnet sich die Tür und es kommen ein paar Gäste. Von denen verabschiedet sie sich persönlich. Sie hat also nicht auf mich gewartet, sondern auf ihre Gäste. So wichtig bin ich nun doch nicht. Sie lädt mich mit einem etwas aufgesetzten Lächeln ins Büro ein. Es gibt noch Etwas zu unterschreiben. Danach sagt sie zu mir, Andreas schon erwartet mich in der Küche. In einem Abstellraum darf ich mich umziehen. Garderoben für das Personal gibt es keine. Duschen auch nicht. Wahrscheinlich gibt es auch keine Personaltoiletten. Wenn das Personal in Personalzimmern lebt, geht das ja. Ansonsten, würde ich da sicher nicht bleiben. Ich habe einfach keine Lust, mich auf unhygienischen Gästetoiletten anzustecken. Köche sind der Hygiene verpflichtet. Zumindest die, mit Verantwortungsbewusstsein.
Bei Andreas in der Küche steht noch eine Frau. Eine Frühstücksköchin. Sie ist etwas aufgesetzt freundlich. Wir trinken erst mal einen Kaffee zusammen und Andreas erklärt mir den Ablauf samt Küche. Die Köchin stellt sich mit Sofia vor. Sie kommt aus dem Ort.